Beyrouth

Avatar von Natascha

Ich war kürzlich in Beyrouth. Beruflich. Gleich zu Beginn des Jahres. Eigentlich in einer Zeit, in der man gerne für sich ist – Zwischendenjahren. Aber es ließ sich nicht anders machen. Ich wollte Mounira treffen, eine Künstlerin. Ich hatte schon etwas Angst vor der Reise, die ich mir aber nicht anmerken lassen wollte, denn schließlich kam ich nur zu Besuch. Mounira aber lebte dort ihr Leben mit ihrer kleinen Tochter und ihrem Mann Fahdi, einem Schriftsteller.
Mounira kenne ich aus Athen. Dort haben wir zusammen eine Flüchtlingseinrichtung für Frauen besucht, verbrachten zwei Tage miteinander. Danach trafen wir uns im Benaki Museum und haben geweint. Weil wir die Geschichten, die wir Tage zuvor gehört hatten, nicht ertragen konnten. Seitdem fühlen wir uns irgendwie verbunden. Seitdem mögen wir das Benaki Museum noch mehr.

 

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Mounira ist viel jünger als ich, couragierter, extrem politisch, und sie macht sehr poetische Kunst. Sie zeichnet, porträtiert Menschen auf gelben Notizblöcken, notiert ihre Geschichten und macht daraus gestickte Collagen. Jeder Nadelstich ein weiterer Schritt auf dem Lebensweg, schrieb sie mal. Klingt kitschig, aber kitschig ist ihre Kunst nicht.

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Mit Mounira habe ich fünf Tage in Beyrouth verbracht, wir liefen durch die Stadt, aßen zusammen, tranken Bier “Mexican Style” mit Salz und Zitrone, ich habe sie gefilmt, wie sie an ihren Kunstwerken arbeitet, sie erzählte mir ihre Pläne für jetzt und später. Mounira kennt jeden Winkel Beyrouths, weiß zu allem eine Geschichte, manchmal sind es nur Tote, an die sie sich erinnert. Sie berichtet davon, wie sie sich einmal mit ihrer Mutter in einem Hauseingang versteckte, um dem Scharmützel der Scharfschützen zu entgehen. Als wäre es immer noch Alltag. Die Einschusslöcher an den Fassaden der Häuser, vor denen ich nicht stehen bleiben darf, weil Militär darin residiert, wirken so frisch wie Mouniras Erinnerungen.

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Dass sie nach Aleppo zum Einkaufen fuhren, wie ihr Vater die Behindertenschule aufgebaut hat, wie sie an der Corniche jeden Tag zum Baden kamen, dort schwammen –  in diesem unfassbar brodelnden Strudel. Mounira kann echt gut erzählen.


Eine Antwort

  1. Wolfgang Rüger

    Der Enthusiasmus der Autorin ist so ansteckend, daß man nach der Lektüre ihrer Musiktexte z.B. sofort die Musik dazu hören will, um die Begeisterung nachvollziehen zu können. Wunderbar, daß es noch Menschen mit solchen Passionen gibt und daß man hier die Gelegenheit zum Miterleben hat. Das ist Kulturjournalismus, von dem ich gerne sehr viel mehr hätte. Und die Texte sind reine Literatur. Danke dafür.

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