Peja

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Das ist Lala. Künstlerin aus Leicester. Eigentlich Albanerin aus dem Kosovo. Seit sie sieben Jahre alt ist, lebt sie in England. Mit Lala habe ich einige Tage im Kosovo verbracht. Wir kannten uns nicht. Als sie mich an einem Samstag im November mit ihrem Kumpel Nassr vom Flughafen in Pristina abholte, wusste ich nicht, was auf mich zukommen würde. Wir hatten nur einen Termin zum Drehen ausgemacht. Sehr kurzfristig, eine Woche vorher. Lala fotographiert Heuhaufen. Heuhaufen im Kosovo. Das macht sie schon seit den 80er Jahren. Wie sie mir kürzlich sagte, hat sie mittlerweile etwa 4000 Fotos von allen möglichen Heuhaufen in ihrem Portefolio. Keine Bilder von Heuhaufen, wie wir sie kennen, also diese gepressten Rollen, sondern kunstvolle Skulpturen aus gelbem, getrocknetem Gras, menschenähnliche Wesen, Monster aus verdorrten Halmen. Als ich davon hörte, dachte ich, Lala spinnt. Heuhaufen.

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Kaum war ich in Pristina angekommen, ging unsere Reise los. Nassr fuhr uns durch den ganzen Kosovo: von oben nach unten, von links nach rechts. Wir hielten irgendwo. Wann immer einer von uns einen Heuhaufen sah, machte Nassr Halt. Lala nahm ihre Kamera, ich meine. Und wir machten Bilder von Heuhaufen.

Das ging jeden Tag so, bis wir einmal abkamen von der Spur. Um Arif zu treffen. Arif ist Steuerberater. Er hatte nichts mit Heuhaufen zu tun. Und das irritierte mich. Auch dass ich meine Kamera nicht mitnehmen sollte, als wir aus Nassrs Auto ausstiegen. Also tranken wir Kaffee in Peja. Nassr, Lala, Arif und ich. Arif war tief gerührt, Lala zu sehen. Es war, als brächte sie ihm etwas, das lange, lange zugedeckt war.

Wir fuhren auf ein matschiges Feld, eine Müllkippe, und Lala und Arif waren tief in ihren Erinnerungen, die auf diesem Platz spielten zu Beginn der 90er Jahre. Ich glaube, Arif weinte ein bisschen. Und Lala brachte ihm Stück für Stück einen Teil seines Lebens zurück, in Bildern, die sie damals gemacht hatte, als sie auf der Suche war nach Heuhaufen und plötzlich Arif fand und die anderen. Hier auf diesem Feld haben sie sich einst versöhnt, die Mörder und ihre Opfer, die Verfechter der Blutfehde, die einander killten – Auge um Auge, Blut für Blut. Hier trafen sie sich zu Tausenden, in Massen, um einander zu verzeihen, Versöhnung zu feiern – unter Zeugen, per Handschlag, für jetzt und alle Ewigkeit, um dem sinnlosen Blutvergießen ein Ende zu bereiten.

Arif war dabei damals.


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