Corona diaries #1 Martins Orgelmusiken

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Vor gut zwei Jahren haben wir uns noch in der Katharinenkirche in Frankfurt nahe der Hauptwache getroffen zur Luminale. Victoria Coeln hat ihr atemberaubendes Lichtgewitter in das Kirchenschiff gelegt, und Martin Lücker inszenierte dazu Werke von Tournemire auf der Orgel. Ja, er spielte nicht einfach nur, sondern er flocht diese Musik magisch ein in dieses Lichtgewebe. Das war mehr als nur eine Orgelmusik oder ein Lichtkunstwerk oder eine musikalische Installation: das war ein unfassbares Live-Erlebnis, wie man es nur selten reproduzieren kann. Ich war schon immer ein großer Live-Fan – wegen der Unwiederholbarkeit des Erlebnisses. “Live” hat etwas so Exklusives. Es ist ja nicht nur, dass man dieses Licht und die Musik in so einer Riesenkirche so auf die Schnelle nicht mal eben so wieder zusammenfädeln kann, es ist vor allem, dass dieses eine Mal tatsächlich einmalig ist. Ein anderes Beispiel: Das Tollste an einer Wagner-Oper ist für mich tatsächlich immer noch der Aufwand. Dass über 100 Leute live und ohne doppelten Boden über vier, fünf Stunden hinweg ein perfektes künstlerisches Happening organisieren, das garantiert ins Herz trifft, zwar aufs Beste geprobt, aber dennoch aus dem Moment heraus. Das muss einem erst einmal gelingen, Abend für Abend und immer mit genau der Garantie, dass das alles zusammen uns wirklich berührt.

Auf die vielen schönen Live-Erlebnisse müssen wir in diesen Corona-Zeiten verzichten. Aber man kann sie ja simulieren, vielmehr digital transportieren. Viele Theater- und Opernhäuser machen das jetzt. Solltet Ihr tatsächlich auf meinen Tipp hin bei Igor Levit auf Instagram einmal vorbeigeschaut haben, dann macht doch auch einen kleinen Abstecher zum Account der MET, die streamen auch regelmäßig jetzt. Aber eigentlich geht es um Martin. Martin Lücker bat mich, die Nachricht zu teilen, dass die regelmäßigen Orgelmusiken in St. Katharinen weitergehen. Sie schaffen es im Moment noch nicht, einen Lifestream einzurichten. Aber seine 30-Minuten-Orgel-Konzerte werden aufgezeichnet und auf YouTube gestellt. Nur kurz: das Bild ist gut. Man sieht Martin am Spieltisch, der Klang gefällt mir sehr!

Gestern gab es die 3563. Orgelmusik! Wer Martin Lücker kennt, weiß, dass er seit 1983 diese Konzerte spielt – ununterbrochen, kontinuierlich. Es gab nur renovierungsbedingt einmal zwei Unterbrechungen. Martin hat damit für sehr viele Menschen über Jahrzehnte hinweg eine Routine geschaffen. Und wie wir in diesen Zeiten lernen: wir sollen unsere Routinen pflegen und unbedingt an lieb gewonnenen Gewohnheiten festhalten. Und noch etwas: Wir sind mitten in der Fastenzeit, das ist eine der musikalischen Kernzeiten vor Ostern. Eine meiner Routinen ist es beispielsweise, mit dem Kirchenjahr zu gehen, irgendwie folgt ein Teil meines Ichs dem liturgischen Kalender. Ostern ist für mich die wichtigste Zeit im Jahr, und Martin spielt natürlich passionszeitmäßig. Gestern gab es Bach und Liszt. Liszt auf der Orgel ist live schon unaushaltbar gut, und zuhause aus dem Lautsprecher meines Computers sogar schön ausgewogen! Das ist groß, bombastisch, das hat Kraft, das wummert, schimmert, eiert, wabert in filigranen Melodielinien und mündet in brachialen Akkordkrachern. Liszt-Klang baut eine Blase um mich – so als säße ich da in der Kirchenbank. Wenn dann bei 28’06 der Choral “Was Gott tut, das ist wohl getan” erklingt, Mann, dann läuft es mir kalt den Rücken runter. Liszt, Du Beschwörer! Dann zieht Martin zum Schluss das ganze Orgelpanorama nocheinmal im tutti auf, und, ja … alles wird gut. Hört selbst. Klickt auf den Link.

https://www.youtube.com/watch?v=JNR4E2mlaCg


Eine Antwort

  1. Victoria Coeln

    So eine wunderschöne positive Kraft, die von euch in Frankfurt ausgeht!
    Das ist doch ein wunderbarer Anfang, das sollte man noch lange beibehalten: jetzt kann ich auch teilhaben, das bis jetzt nur möglich war, wenn man physisch vor Ort in Frankfurt war :)) Herzallerliebsten Dank aus Wien, auch für das Auffrischen der wunderbaren Erinnerungen, liebe Natascha Pflaumbaum und lieber Martin!

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