Tournemire im Lichtgitter

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Wenn man aus St. Katharinen an der Hauptwache rausgeht, weht einem noch im Kirchenraum Dönergeruch in die Nase. Wenn man in St. Katharinen reingeht, dann hört man meistens Martin Lücker, diesen genialen Orgelvirtuosen. Lücker bespielt diesen unwirtlichen Hauptwache-Kirchenort so unbeirrt und konsequent mit seiner Orgelmusik, dass man nur glücklich sein kann, ihn so häufig zu hören. St. Katharinen ist eine Trutzburg für Ruhesuchende. Geht hinter einem die schwere Tür zu, ist man komplett weg. Lückers Orgelspiel hilft immens dabei. Man kann gefühlsduselig wegsegeln damit, aber Lückers Repertoirewahl und sein untrüglicher Geschmack für gute Musik triggern einen intellektuell tatsächlich so, dass man sich selten nur auf eine sentimentale Reise begibt. Gut so.

Jetzt spielt Lücker für mehrere Wochen, in der Passionszeit, Musik von Charles Tournemire, einem französischen Organisten, der bei César Franck studiert hat, bei Widor – ehrlich gesagt: meine Orgel-Helden – von Bach, Reger, Buxtehude mal abgesehen. Dieser Charles Tournemire schreibt eine Musik, so jenseits der konventionellen Harmonien seiner Zeit, so jenseits der Moden, dass es einem schier den Atem raubt. Er hat vor allem die Langsamkeit für sich entdeckt. Akkordflächen könnte man meinen – mit Schweller in die Weite des Raumes geschickt. Nein, Martin Lücker spielt selbst das Langsame mit einem schlagenden Puls, dem eines Meditierenden allerdings, der drei Mal pro Minute atmet.

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Diese Tournemire-Geschichte kommt nicht von ungefähr. Die Katharinenkirche hat sie sich als ihren Beitrag zur Luminale 2018 in Frankfurt ausgedacht. Seit gestern gibt es die großartige, analog erzeugte Lichtinstallation von Victoria Cöln in St. Katharinen, ein Gitter aus mit Licht gezeichneten Linien, polyphone Verflechtungen, Teile einer Dornenkrone (da ist Blut dazwischen, das Rote) oder einfach nur ein Gewirr aus Bleiruten, ein Zitat aus den traditionellen Bleiglasfenstern – charakteristisch auch für St. Katharinen. Die Lichtlinienmatrix, die das Kirchenschiff überzieht, ist gewaltig. Wenn Lücker, und das wird an ausgewählten Tagen jetzt in der Passionszeit geschehen, dazu eben diese Musik von Charles Tournemire spielt, die „Sieben Worte Christi am Kreuz“, op 67, dann bebt das Gitter, pulsiert und changiert es. Meint man jedenfalls. Alles reine Phantasmagorie, die Installation ist statisch.

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Wer die Installation sieht, kommt nicht darauf, wie sie gemacht ist. Alles ist analog, sogar die Präsentation läuft ohne digitalen Schnickschnack, kein Beamer, kein Video. Ich will die Arbeit hier auch gar nicht entzaubern, aber zu schön erschien mir der kleine Arbeitstisch, den sich die Künstlerin oben auf der Empore neben der Orgel von Lücker aufgebaut hat, als dass ich nicht ein, zwei Fotos machen wollte. Victoria Cöln arbeitet mit Linsen, die sie zerkratzt, sie ahmt eigentlich das Linsenprinzip einer Foto-Optik nach, manipuliert die Gläser, setzt sie dann hintereinander.

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Durch die Manipulationen und Überlagerungen entstehen auch Prismeneffekte, Regenbogenfarben. Mitunter kitschig, aber in der gigantischen Größe: mega!

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Am 18. März eröffnet die Luminale in Frankfurt. Es gibt an dem Sonntag eine kleine Geschichte in der Kirche. Martin Lücker und Victoria Cöln sprechen über ihre gemeinsame Arbeit. Ich denke mir Fragen für die beiden aus. 18. März, 18.00 Uhr, St. Katharinen, Frankfurt. Genau zur blauen Stunde.


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