Der neue Tannhäuser feierte gestern abend bei den Bayreuther Festspielen Premiere. Regisseur Tobias Kratzer hat sich für sein Debüt am Grünen Hügel eine kurzweilige, intelligente und ziemlich ironische Geschichte ausgedacht, die oberflächlich par excellence die Liebesgeschichte von Tannhäuser erzählt, subkutan aber die Frage nach der ewigen Liebe mit der Frage über den Sinn und Stellenwert von Kunst verknüpft. Klingt kompliziert, gelingt ihm allerdings sehr sinnlich und unterhaltsam.
Diese Tannhäuser-Inszenierung wird optisch über zwei Figuren und einen Bus in Erinnerung bleiben. Da ist Manni Laudenbach, der den kleinwüchsigen, trommelnden Oskar Matzerath aus Grass‘ Roman „Die Blechtrommel“ nachmacht. Da ist Le Gateau Chocolat, die schwarze Dragqueen, mit ultralangen Klimperwimpern, einer gelben Tuffrobe, die affektiert durch die Gegend stöckelt und gute Laune macht als Paradiesvogel. Beide juckeln als Entourage einer ziemlich scharfen Venus in einem ziemlich markanten Citroen-Bus durch den Thüringer Wald. Ohne Geld, ohne Essen, bis sie einen Polizisten umfahren, der sich ihnen im Drive-Inn bei „Burger King“ in den Weg stellt, als die verrückte Anarcho-Truppe die Zeche prellen will. Zu diesen freakigen Revoluzzern, die Venus um sich schart, gehört auch Tannhäuser, der in einem Clownskostüm seine verrückte Seite hervorkehrt, obwohl er doch eigentlich ein ernstzunehmender Opernsänger ist. Diese Truppe nun sitzt sie in diesem rumpeligen markanten grün-grauen Wellblech-Citroen, ein Abbild des Busses, mit dem Marina Abramovic und Ulay einst fünf Jahre ihrer Liebesbeziehung durch Südeuropa gefahren sind, ohne Geld, ohne Essen, ohne Ziel. Die Liebe war das Ziel und ihre unsterbliche Performance-Kunst.
Die Liebe ist das Ziel, und die Kunst ist es auch: so wie Abramovic und Ulay in ihren Performances die Beziehung von Kunst und Liebe ausbuchstabiert haben, so zeigt Kratzer hier, dass die Frage, ob Hure (Venus) oder Heilige (Elisabeth) ebenso wie die Frage, ob Subkultur oder Hochkultur, am Ende immer nur mit einem entschiedenen „beides“ beantwortet werden kann. So wenig wie Tannhäuser ausschließlich mit der verrückten Venus glücklich wird, weil er sich nach der sanften Elisabeth sehnt, so wenig können wir mit reiner Hochkultur „überleben“, wir brauchen die Inspirationen von allen Seiten, wir brauchen die Freiheit im „Wollen, Thun und Geniessen“. So hat es schon Richard Wagner gefordert, und so bringt es die punkige Venus in ihren Plakat- und Handzettelaktionen auf die Bühne in Bayreuth. Und so ist es denn das Plädoyer von Tobias Kratzer in diesem Tannhäuser, der auch mit schöner Selbstironie daherkommt, indem er in leisen Anspielungen auf Stefan Baumgartners „Tannhäuser“, auf James Levine, Christian Thielemann, auf Schlingensiefs Parsifal, auf Castorfs „Ring“ am Ende den Grünen Hügel als Kulturtempel auf die Schippe nimmt.
Diese Venus ist das Zentrum dieser Tannhäuser-Geschichte. Um sie herum bastelt Tobias Kratzer seinen Tannhäuser-Kunst-und-Liebe-Kosmos mit Drohnenflügen über die Wartburg, Schwarz-Weiß-Filmen aus dem Backstage-Bereich, mit erfundenen Plots und Nebenschauplätzen wie etwa der Teichnummer in der Pause im Park vor dem Festspielhaus. Elena Zhidkova singt eine selbstbewusste, klangschöne, äußerst agile Venus, ohne Anstrengung, ohne Kraft. Die zierliche Sängerin gibt der Krawall-Venus eine große, beharrliche Stimme, schön und transparent. Lise Davidsen als Elisabeth ist ihr eine ebenbürtige Gegenspielerin, ebenfalls groß und vollmundig, mitunter hart da, wo es nötig ist, wie in der Hallenarie etwa, in der man schon an der Stimme erkennt, dass diese Frau hier gerade mal richtig sauer ist. Eine Entdeckung: Katharina Konradi als junger Hirte, die lange Zeit am Staatstheater Wiesbaden engagiert war und dort ihre ersten Schritte als Opernsängerin gemacht hat. Dirigent Valery Gergiev erwischte hingegen ein kalter Buh-Schauer. Zu ungenau, zu wenig inspiriert, zu klein und zu gestenlos war das, was er aus der Partitur machte. Die Akustik in Bayreuth ist gewöhnungsbedürftig, offenbar auch für Dirigenten.
Nach viel Spektakel mit einigen Lachern kommt das Ende der Oper rasant: Der Bus ist Schrott, Elisabeth tot, Le Gateau chocolat eine Werbeikone, Tannhäuser erscheint irgendwie geläutert und doch genervt. Oskar Matzerath sch… auf die Revolution. Keine Erlösung in Sicht. Weder in der Liebe noch in der Kunst. Gut so. Denn genau so ist es auch.
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